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Coronamaßnahmen machen Schulen zu Unorten

Last Updated on 14. Mai 2022 by redaktion

Coronamaßnahmen machen Schulen zu Unorten

Mutige Pädagogen setzen auf Menschlichkeit

Politiker und Leitmedien thematisieren erst seit kurzem die Belastung von Kindern und Jugendlichen durch die Coronamaßnahmen und denken nur sehr langsam eine Abschaffung der Masken in den Schulen an. Lehrkräfte und Erzieherinnen müssen sich hingegen schon seit über einem Jahr mit den Auswirkungen der Anordnungen auf ihre Schutzbefohlenen auseinandersetzen. Nicht wenige Pädagogen erleben die Maßnahmen, die die kommunikative Situation in Schulen und Kitas massiv belasten, als Angriff auf grundlegende Werte, die bisher im Erziehungsbereich gültig waren. Sie erleben, wie ihre professionelle Ethik gefährdet und ihre pädagogischen Ideale in Frage gestellt werden und erkranken an dem emotionalen Spagat, den ihnen ihr Berufsalltag abverlangt.

Die Protestaktion am Nachmittag des 5. Juni 2021 vor dem Düsseldorfer Landtag machte auf dieses Problem aufmerksam. Die Botschaften der 110 Pädagogen, die diese auf große Schilder geschrieben hatten, sprachen für sich. „Ich stehe für das Gespräch“, „Ich stehe für Berührbarkeit“, „Ich stehe für das Kindeswohl“ war dort unter anderem zu lesen.

Mit ihrem stillen Protest auf der Wiese vor dem Landtag zeigten Lehrkräfte aller Schularten, Erzieherinnen und Sozialpädagogen Gesicht und schickten einen Hilferuf nach außen. Sie standen für ihre professionellen Werte ein und verleugneten diese nicht länger.

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Stilles Leid an den Schulen

„Es erfordert Mut zu zeigen, wie sehr Schüler und Lehrer aber auch Eltern im Bildungs- und Sozialsystem unter den Maßnahmen leiden“, meint einer der Organisatoren, ein Lehrer mit einigen Jahren an Berufserfahrung.* „In der Gemeinschaft mit anderen ist es einfacher, die Öffentlichkeit auf die negativen Folgen der Coronamaßnahmen im pädagogischen Bereich aufmerksam zu machen. Ein Austausch vor Ort ist kaum noch möglich. Lehrer, Kinder und Familien, die unter den Maßnahmen leiden, werden nicht ernst genommen, ausgegrenzt und leiden im Stillen, bis sie irgendwann aus den Schulen, Kindergärten und anderen Orten der Begegnung verschwinden. Wir müssen uns überlegen, wohin sich unser Bildungssystem durch solche Eingriffe entwickelt. Die Verzweiflung vieler Menschen ist riesig und sie wissen vielfach nicht, wie es für sie und ihre Kinder weitergehen soll, denn Schulen sind für sie zu Unorten geworden. Das hinterlässt seelische und psychische Wunden.“

Im pädagogischen Feld kaum noch Dialog möglich

Die Aktion erhielt viel Zuspruch und Aufmerksamkeit. Lehrer, Schüler, Eltern und Angehörige bedankten sich bei den engagierten und mutigen Teilnehmern. „Der Schritt war für viele beteiligte Pädagogen eine sehr große Überwindung, da die Angst vor beruflichen, aber vor allem auch vor sozialen Konsequenzen allgegenwärtig ist“, erklärt der Mitorganisator. „In welcher Gesellschaft leben wir, wenn Menschen aus Angst vor negativen Folgen, sich nicht mehr trauen, friedlich für ihre Überzeugungen einzustehen?“

Tatsächlich war auch heftige Kritik mancher Schüler und Eltern an der Protestaktion zu hören. Diejenigen Pädagogen, die krank geschrieben seien und sich an der Aktion beteiligt haben, hätten ihre Schüler und Kollegen im Stich gelassen, seien weggelaufen oder würden gar „krank feiern“. „Diese negativen Reaktionen und falschen Unterstellungen treffen mitten ins Herz“, erklären die Organisatoren, die die Kritik dennoch ernst nehmen und auch Verständnis zeigen. In vielen Fällen fehle einfach das direkte Gespräch und so werde von manchen schnell geurteilt oder auch verurteilt. Es haben sich durch die Coronamaßnahmen Gräben zwischen den Menschen aufgetan, die nur durch ein Aufeinanderzugehen überwunden werden können.

Sozialer Druck

In den Institutionen gehen die Menschen unterschiedlich mit den Maßnahmen um. Manche tragen die Masken ohne Probleme, andere leiden – meist still – darunter. „Wenn es mir nichts ausmacht, dann darf es den anderen auch nichts ausmachen. So denken einige. Das ist eine sehr einseitige Sicht auf die Situation, in der ich von mir auf andere schließe. Schulen sollen dazu beitragen, genau diese egozentrierte Sichtweise als eine solche zu erkennen und den Horizont zu weiten, um auf den anderen zugehen zu können. Das Fördern von Dialog und Verständnis ist die Basis pädagogischer Arbeit“, erklärt der Pädagoge nachdenklich. „Natürlich wirkt sich auch der enorme soziale Druck auf die Akzeptanz der Maßnahmen aus: Ich mache mit, damit ich nicht ausgegrenzt werde. Gerade die in der Entwicklung stehenden Heranwachsenden können sich einem solch allgemeinen sozialen Zwang nur sehr schwer entziehen, aber auch bei den Kollegen spielt er eine große Rolle.“

Denunziation als soziales Gift

Besonders das Verpetzen von Schülern durch ihre Mitschüler oder auch der Kollegen untereinander ist für die Teilnehmer der Aktion nicht zu ertragen und vergiftet das Schulklima. Lehrer denunzieren sich gegenseitig, Schüler denunzieren Lehrkräfte, Eltern schalten sich ebenfalls ein. „Die Lehrkräfte werden zu Grenzgängern, die ständig heraustesten müssen, was noch möglich ist und was nicht. Das versetzt sie in einen emotionalen Ausnahmezustand. Sie stehen dazu oft mit ihrer Trauer und ihren Zweifeln alleine, weil sie es nicht mehr wagen sich zu äußern. Der pädagogische Spielraum ist sehr verengt. Eine Lehrerin, die mit ihren Schülern bei offenen Fenstern gesungen hat, wurde beispielsweise angezeigt. Lehrkräfte sind in einem Schlingerkurs unterwegs – zwischen einem Aushandeln von Freiräumen und der Infektionsschutzgrenze – das Damoklesschwert möglicher juristischer Folgen bei nicht beachteten Infektionsschutzmaßnahmen ständig über sich.“

Die Schule ein Riesenhamsterrad

Schon vor Corona klagten viele Lehrkräfte und Schüler über eine zunehmende Arbeitsdichte. Nebenaufgaben, Bürokratisierung, ständiges Konzepte schreiben, wenig effektive Qualitätsmaßnahmen überforderten alle Beteiligten rein quantitativ, auch die Eltern. „Wir brauchen Entschleunigung, mehr Zeit und Ruhe für die Begegnung im sozialen Raum Schule“, betont der erfahrene Lehrer. „Dieser überhastete Schulalltag schadet allen. Wer Schule als ein Unternehmen sieht und pädagogische Fragestellungen aus betriebswirtschaftlicher Perspektive beantwortet, entkernt sie pädagogisch wie menschlich.

Vor diesem Hintergrund muss auch die Digitalisierung, die durch die Schulschließungen im Rahmen der Corona-Schocksituation forciert wurde, hinterfragt werden. Ihre Vor- und Nachteile sollten aus pädagogischer und fachlicher Perspektive abgewägt werden und nicht rein nach Kriterien wie Funktionalität und Effizienz. Fragen zum Datenschutz, zum Arbeits- und Gesundheitsschutz, nach digitaler Souveränität, nach langfristiger Unterstützung bei Wartung und Instandhaltung der Geräte oder nach der Rolle von Digitalisierung im Bildungsbereich überhaupt, müssen in den Blick genommen werden. Hebt die Digitalisierung wirklich das Bildungsniveau? Oder findet eine Verflachung statt? Wieviel persönliche und soziale Begegnung brauchen Kinder und Jugendliche in ihren Bildungsprozessen? Wie wichtig ist der Klassenverband für Freundschaften und das gemeinsame Lernen? Wo ist Digitalisierung wirklich sinnvoll? Welche blinden Flecke existieren, wenn wir die Digitalisierung unkritisch und undifferenziert in der Schule vorantreiben? Solche Fragen dürfen und müssen Pädagogen stellen.“

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