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Ein Szenario der Kontaktlosigkeit

Last Updated on 14. Mai 2022 by redaktion

Ein Szenario der Kontaktlosigkeit

Eine Hebamme berichtet über Schwangerschaft und Geburt in Zeiten der C-Maßnahmen

Raica Vermeegen ist mit Leib und Seele Hebamme.

Sie liebt ihren Beruf und hat seit zwölf Jahren eine eigene Praxis in Solingen. Dort betreut sie Mütter, Eltern, Familien vor und nach der Geburt – vom positiven Schwangerschaftstest an bis zum ersten Lebensjahr des Kindes.
„Stille Geburten“ liegen ihr am Herzen, denn sie berät die Familien, in denen voraussichtlich ein nicht lebensfähiges Kind geboren wird und war Mitbegründerin eines Kindersternenfeldes in ihrer Stadt.
Außerdem geht sie jährlich für zwei Monate ins Ausland, um dort freiwillige Aufbauarbeit zu leisten.
Die Coronamaßnahmen haben ihre berufliche Praxis sehr verändert und die Möglichkeiten für aktuelle Auslandsprojekte aufgrund der Verordnungen durchkreuzt.

Wie hat sich Ihre Arbeit als Hebamme hier in Deutschland seit Beginn der C-Maßnahmen verändert?

Oh, da hat sich seit April 2020 sehr viel verändert, schon allein durch die Kontaktbeschränkungen. Normalerweise betreue ich die ganze Familie, das Familiensystem, denn für mich ist Hebamme – neben allem Medizinischen – ein Beziehungsberuf. Jetzt schränken sich die Kontakte sehr ein. Das heißt bei den meisten niedergelassenen Ärzten dürfen alle Vorsorgetermine nur von der Frau alleine wahrgenommen werden. Partner und Geschwisterkinder bleiben außen vor. Das macht etwas mit ihnen. Ich habe dies nur ein paar Wochen durchgeführt und dann jeder Familie selbst die Entscheidung überlassen, ob sie gerne zusammen die Termine bei mir wahrnehmen möchten. Die meisten Familien haben dies dankend angenommen. Zu sehen, wie die Begleitpersonen den Bauch abtasten lernen, zusammen herauszufinden, wie das Kind gerade in der Gebärmutter liegt, die Herztöne gemeinsam zu hören, Fragen, Ängste und auch Freude zeigen und äußern zu können, ist ungemein wichtig für den Prozess.

Was ist außerdem Neues hinzugekommen?

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Durch die Stiko (Ständige Impfkommission) gibt es die Anweisung auf eine Keuchhusten- und Influenzaimpfung von Seiten der Arztpraxis hinzuweisen. Wir Hebammen sind schon immer mit dem Impfthema vertraut. Wir nutzen auch die Möglichkeit uns über Fachfortbildungen fortzubilden. Bisher waren es aber mehr die Impfungen für das Kind in den ersten zwei Jahren. Influenza-Impfungen wurden abhängig von der zuständigen Arztpraxis auch in der Vergangenheit empfohlen. Seit ein paar Monaten ist die Beratung zu den neuen Empfehlungen ein wichtiges Anliegen der Schwangeren und nimmt zusätzlich viel Raum bei den Terminen ein. Das liegt auch daran, dass die meist kurze Taktung der Termine in der Facharztpraxis den Frauen oft nicht den Raum für alle diese Fragen lässt, deshalb sind sie sehr verunsichert.

Bei Hausbesuchen tragen wir Masken, denn Hebammen kommen Mutter und Kind nahe. Abstand ist hier nicht möglich und auch von meiner Seite nicht gewollt. Ich muss die Frau anfassen, ob bei einer Damminspektion oder einer Bauchmassage. Das Gleiche gilt für das Kind, um die Vorteile des richtigen Handlings, die Babymassage und Gymnastik oder das Baden anzuleiten und zu zeigen.

Wie wirken sich die C- Maßnahmen auf Mütter und Familien aus?

Es herrscht Angst und Unsicherheit. Viele Familien haben sich freiwillig isoliert, um eine Gefährdung auszuschließen. Da ist die Angst, das Geschwisterkind zur Tagesmutter oder zur Kita zu schicken. Die Angst, bisherige Bindungs- und Betreuungspersonen einzubinden, um das Geschwisterkind betreuen zu lassen oder um sich selbst im Haushalt oder bei Erledigungen unterstützen zu lassen. Es geht darum, eine Quarantäne zu vermeiden oder am Tag der Geburt im Kreißsaal nicht ohne Partner sein zu müssen. Da herrscht Angst, dass sich das ungeborene Kind ansteckt. Angst – während der Geburt eine Maske zu tragen und das Ganze nicht zu schaffen. Angst – vor einem vorzeitigen Blasensprung ohne Wehentätigkeit mit Aufnahme ins Krankenhaus, ohne dass die Begleitperson an der Seite stehen darf und erst zur Geburt hereingeholt wird. Noch mehr Angst – vor einer Kaiserschnittgeburt, weil dann ein längerer Krankenhausaufenthalt notwendig ist und das den Wegfall oder nur sehr eingeschränkte Besuchsmöglichkeiten der jeweiligen Partner bedeutet. Angst – vor den unterschiedlichen und ständig wechselnden Vorgehensweisen mit der C-Situation in den Krankenhäusern.

Ich habe so sehr belastete Schwangere in der ganzen Zeit wahrgenommen. Die Nachfrage für die Hausgeburt stieg stetig. Die Familien sahen so eine Chance für sich, die C-Leitlinien der Kliniken und eine Ansteckung durch viele Kontakte zu umgehen. Auch die Alleingeburten bei erfahrenen Frauen haben in meiner Praxis im vergangenen Jahr zugenommen. Als Hebamme muss ich die individuelle Situation jeder Familie unter diesen schwierigen Umständen sehr genau einschätzen.

Gibt es genügend Hebammen für diese komplexen Anforderungen?

Es gibt zu wenig Hebammen in Deutschland. Trotz Forderungen von Elternnetzwerken, unseren Verbänden und vielen Eltern sowie erfolgreichen Petitionen an die Regierung ist keine Besserung eingetreten. Ein Mangel ist jeden Tag durch viele Anfragen und Bekundungen von Eltern spürbar.

Das war schon vor Corona so. Aber unter Corona-Bedingungen wollen etliche Frauen, die normalerweise keine Hausgeburt gewählt hätten, eine solche – und es fällt jetzt wirklich auf, dass es an Hebammen fehlt. Ambulante Geburten nehmen ebenfalls zu, das heißt die Mutter geht ein paar Stunden nach der Geburt wieder nach Hause. Die notwendigen Nachuntersuchungen an Wöchnerin und Kind müssen dann vermehrt von Hebammen, Kinderärzten oder Kliniken aufgefangen werden. Schlecht ist dann natürlich, wenn Frau wie oben erwähnt keine Hebammenbetreuung für das Wochenbett gefunden hat.

Die Auswahl einer passenden Geburtsklinik kann nur online über Imagevideos erfolgen und das Geburtsplanungsgespräch findet in vielen Kliniken zugunsten der Kontaktbeschränkungen nur telefonisch statt. Die Schwangeren können sich nicht vor Ort alles einmal ansehen, wie es vor Corona gehandhabt wurde. Insgesamt sehe ich hier ein Szenario der Kontaktlosigkeit, das Müttern und Familien nicht guttut. Früher sprach man oft von einem Klinik-Casting, dem die Eltern nachgehen. Doch Eltern wollen ein Gefühl für den Geburtsort spüren. Dazu gehören nicht nur Fakten, Zahlen und Bilder, sondern die Umstände werden auch leiblich erspürt.

Wie läuft die nachgeburtliche Betreuung?

Normalerweise heißt es ja, dass es ein Dorf braucht, um ein Kind aufzuziehen. Soziale Kontakte sind also das A und O für Eltern und Kinder. Diese elementaren Kontakte sind aber zurzeit leider nicht möglich. Besonders Erstlingsmütter haben viele Fragen, die sie im Kontakt mit anderen Eltern und in unseren Kursen oder im Stillcafé sehr schnell beantwortet bekommen, was sie dann sehr beruhigt. Zu sehen, dass man nicht alleine ist und nicht alleine dieses scheinbare Problem hat, ist für das Eltern-Werden ungemein wichtig.

Die Eltern erhalten nur noch Online-Tutorials abgesehen von den direkten Informationen über die Hebamme oder den Arzt. Das ist zu wenig. Einige Angebote in meiner Praxis werde ich jedoch weiterhin als Online-Angebote zur Verfügung stellen. Workshops, in denen reines Wissen vermittelt wird, können auch online positiv bewertet werden. In der Babymassage lasse ich nach meinen Erläuterungen die Mikros für alle an, um den Austausch in der Gruppe anzuregen und zu ermöglichen. Rückbildungskurse sind machbar, wenn die technischen Bedingungen es erlauben, jede Teilnehmerin zu korrigieren. Je nachdem, wo die Teilnehmerin wohnt oder wie sie technisch ausgestattet ist, kommt es dabei immer wieder zu Problemen. Das darf man nicht unterschätzen.

Viele Angebote sind hingegen online absolut unbrauchbar. Das Stillcafé ist es ein ganz intimer Rahmen, in dem auch die Brust oder das Kind mal inspiziert werden oder wir das Kind gemeinsam anlegen müssen. Babygymnastik ist alleine im Wohnzimmer relativ uninteressant für die meisten Eltern, Notfall-Erste-Hilfe Kurse nicht ohne praktische Übung am Dummy durchführbar. Für diesen wichtigen Kurs habe ich im vergangenen Sommer ein 1:1 Angebot im häuslichen Umfeld geschaffen.

Und wie sieht es mit der Maskenpflicht im Kreißsaal aus?

Eine richtige und tiefe Atmung ist neben uneingeschränkter Bewegung, Essen und Trinken, das beste Werkzeug, um sich als Schwangere und auch das Kind zu versorgen. Die tiefe und entspannte Atmung spricht den Parasympathikus an und reduziert das eigene Schmerzempfinden. Sobald dieses Setting gestört wird, kann es im Verlauf zu einem Geburtshindernis kommen. Insofern ist eine Maskenpflicht hier absolut kontraproduktiv und lässt die Gebärende nicht in einen ungehinderten Atemrhythmus oder -fluss kommen. In einem Live-Interview mit dem WDR sagte ich deshalb vor kurzem zu den Frauen: „Reißt euch die Masken runter! Im Zweifel sagt ihr, dass euch schlecht wird!“ Ich kann als Hebamme einen solchen störenden Eingriff nicht gutheißen. Beim WDR sagte man mir, dass diese Passage herausgeschnitten wurde, bevor man das Interview in der Mediathek archivierte.

Manche Frauen erzählen über die Geburtssituation: „Ich durfte die Maske dann am Schluss abnehmen …“ Ich als Profi kann dazu nur sagen: „Das reicht nicht, wenn du es gerne bereits früher gemacht hättest!“ Auch gibt es immer wieder Kolleginnen oder Krankenschwestern auf der Wöchnerinnenstation, die Maskentragen nicht einfordern und die Frauen nur darauf hinweisen, sobald eine Kollegin hinzukommt, die auf der Maskenpflicht besteht.

Mir widerstrebt diese Maskenpflicht bei der Geburt völlig. So möchte ich nicht arbeiten. Ich selbst betreue keine Hausgeburten mehr, sondern habe mich auf die vorgeburtliche und nachgeburtliche Phase konzentriert.

Wenn man nicht erkennt, dass die Maske für eine Gebärende negative Auswirkungen hat, dann fehlt es meiner Meinung nach an sozialem Denken, an Einfühlungsvermögen, an Solidarität mit den Müttern und einfach auch an medizinischem Wissen. Die Geburt ist ein sensibler Prozess, in dem unser eigenes Erleben immer von uns reflektiert werden sollte. Gerade auch in C-Zeiten.

Wo waren Sie in 2020 im freiwilligen Einsatz?

Ich habe vor zwei Jahren eine Qi-Gong Ausbildung in Dortmund abgeschlossen und habe letztes Jahr auf Bali an einem zweiwöchigen Retreat teilgenommen.
Danach war ich für zwei Wochen in einem Gemeindekrankenhaus auf Bali in Sanur, was eine wertvolle Erfahrung war.

Dieses Jahr wollte ich eigentlich gerne auf ein Seenotrettungsschiff oder noch einmal zu einem Projekt nach Sri Lanka in Hikkaduwa. Dort leitet eine ortsansässige Hebamme ein Gesundheitszentrum, an dem ich vor zwei Jahren mit dabei war, neue Ideen und Impulse umzusetzen. Aber dazu kam es wegen Corona nicht. Ich kann die ausgedehnten Quarantäneauflagen vorher und nachher leider vom Zeitaufwand her nicht erfüllen. So werden soziale Hilfsprojekte blockiert, die bedürftigen Menschen zugutekommen sollen. Ich werde die Zeit dieses Jahr für einen Urlaub auf den Kanaren nutzen.

Was hat diese schwierige Zeit bei Ihnen persönlich ausgelöst?

Ich hatte und habe einen großen Drang mich zu informieren, um für mich eine Haltung und ein für mich richtiges Handeln zu überprüfen und zu entwickeln.

Nach der Arbeit saß ich monatelang vor dem Computer und las Texte oder sah Videos. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland habe ich eine Stimme nach der Tagesschau vermisst, die praktische Tipps und Anleitungen zur Stärkung des Immunsystems gibt, um jeden Menschen in seiner aktiven Selbststärkung zu unterstützen. Das Virus verdeutlichte mir die Erosionen im Gesundheitssystem, das heißt, wir können es auch als ein Geschenk zum Handeln und Umdenken sehen.

Ich höre Bundestagsreden von verschiedenen Politikern oder Ministern unterschiedlicher Parteien, denen ich vorher keine oder wenig Beachtung geschenkt hätte. Das Parteiensystem ist für mich persönlich kein Zugewinn mehr und ich bin aufgefordert offen mit jedem zu sprechen, egal, welcher Partei er oder sie angehört. Das hätte ich bis vor einem Jahr wahrscheinlich eher nicht getan. Für dieses Neudenken war anstrengende Selbstreflexion notwendig. So konnte ich mir eine neue offene und kritische Denkweise aneignen.

Mittlerweile sehen auch unsere erwachsenen Kinder die Coronamaßnahmen kritischer und haben gemerkt, dass die Demonstranten in der Regel ganz normale Menschen sind und keine Rechtsradikalen, wie in den Mainstreammedien immer noch behauptet wird. Dies war nur möglich, indem wir uns Demonstrationen aller Gruppen vor Ort angeguckt haben und in Austausch mit Personen dort gegangen sind. Von menschenverachtenden und gewaltbereiten Situationen habe ich mich immer deutlich distanziert und werde das auch in Zukunft immer tun.

Wie stehen Sie zu der Impfung gegen Covid 19?

Die Impfung steht Hebammen zur Verfügung und ist bis jetzt freiwillig. Ich hoffe, das bleibt so, denn eine Impfflicht würde für mich persönliche Konsequenzen bis hin zur Überlegung einer Schließung meiner Praxis nach sich ziehen. Ich übe einen wichtigen Beruf aus und werde immer gebraucht werden. Ansonsten bringe ich meine anderen Skills in die Gemeinschaft mit ein. Da bin ich ganz im Vertrauen.

Ihr Fazit?

Die Masken müssen fallen. Wir brauchen uns in echt. Und ich frage mich, wie nehmen unsere Kinder uns wahr? Ihnen wird so viel Angst gemacht. Dass Kinder sich mittlerweile fragen, ob sie diejenigen sind, die die Eltern, Großeltern oder Geschwister anstecken könnten, macht mich traurig und wütend zugleich. Schülerpraktikantinnen oder Externatsschülerinnen in meiner Praxis hoffen einfach nur darauf, ihren Weg weiter gehen zu können, ihr Abi und ihre Prüfungen zu schaffen und weitere Praxiserfahrungen machen zu können.

Hebammenpraxis Raica M. Vermeegen

Baverterstr. 17
42719 Solingen
mobil 0177.7574686
Info@raica.de
www.raica.de

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