Bis neulich habe ich noch im Gesundheitswesen gearbeitet. Etwas mehr als sechs Jahre war ich in einer Krankenhausverwaltung tätig, zuletzt direkt in der Patientenaufnahme. Als Quereinsteiger staunte ich nicht schlecht, wie miserabel ausgestattet der Betrieb zuweilen war. Klar, auch bevor ich dort tätig wurde, wusste ich ob dieser Umstände. Wenn man sie dann aber am eigenen Leib erfährt, ist es schon noch mal was anderes. Aus Gründen habe ich dann den Absprung geschafft.
Schon alleine aufgrund meiner Berufserfahrung neige ich dazu, nach Büchern Ausschau zu halten, die sich mit den Verwerfungen des Gesundheitswesens befassen. Dabei fiel mir auf, dass es nicht viele gibt, die sich wirklich kritisch mit den Nickligkeiten des Systems auseinandersetzen. In den Medien reduziert sich die Kritik am Gesundheitswesen — wenn es denn überhaupt eine gibt — an der schlechten Bezahlung von Pflegekräften. Dabei sind im Systemischen so viel skandalöse Fehlanreize gesetzt, dass von einer Medizin für die Menschen nur noch schwerlich gesprochen werden kann. Gerade jetzt, da die Politik dazu neigt, das deutsche Gesundheitswesen als funktionstüchtig zu loben, weil es während der Pandemie nicht völlig in sich zusammenbrach, ist es wichtig, die systemische Frage aufzuwerfen.
Krankenhaus im Ausverkauf
Thomas Strohschneider ist Gefäßchirurg — und neuerdings auch Autor: „Krankenhaus im Ausverkauf. Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit“ nennt sich sein aktuelles Buch. Zudem ist er auch noch Betriebswirt. Das klingt, als sei Strohschneider ein Tausendsassa, aber diese letztgenannte Position besetzt er nicht offiziell, ja noch nicht mal gerne: Betriebswirt ist er bloß notgedrungen. Denn wer heute als Arzt im Krankenhaus anheuert, muss auf viele verschiedene Umstände achten. Jedoch auf das, was die Patientinnen und Patienten wirklich brauchen, zuweilen nur nebenbei. Das etablierte Abrechnungssystem fordert seinen Tribut, das Patientenwohl ist keine Variable, mit der sich was verdienen lässt.
„Ärztemanager“ nennt Strohschneider selbst jene Rolle, die Ärzte, speziell aber Chefärzte einnehmen. Regelmäßig bestellt sie die Geschäftsleitung zum Rapport, dort müssen sie erklären, warum bestimmte Patienten immer noch nicht entlassen seien, schließlich sei die Grenzverweildauer überschritten, was so viel heißt wie: Mit hartnäckigen Patienten lässt sich nichts verdienen, das Entlassmanagement möge doch bitte tätig werden — und abschieben. Gerügt wird auch, wenn zu viele Operationen gemacht werden, die wenig Geld einbringen.
Sachkundig erklärt der Autor, weshalb es keine vollumfängliche Therapie für Patienten im Krankenhaus gibt: Man splittet ihn nämlich in Diagnosen auf, bestellt lieber öfter ein, damit mit jedem neuerlichen Aufenthalt auch neuerlich verdient werden kann. Das System verleitet zu solchen Anreizen, weil die DRG (Diagnosis Related Groups, im Volksmund auch Fallpauschale genannt) eine andere Abrechnung nicht zulassen. Die Versorgung ist erlös-, aber nicht patientenrelevant angelegt, Begleiterkrankungen werden zuweilen ignoriert, weil deren Behandlung keine zusätzliche Bezahlung seitens der Krankenkassen einbringt.
Krankenhäuser haben ein reges Interesse daran, aus jeden Patienten die bestmögliche Diagnose herauszuholen, wobei „bestmöglich“ meint: die schwerstmögliche Diagnose. So steigert man den Case Mix Index (CMI), der über die Höhe der Bezahlung entscheidet. Wer nun glaubt, dass die Krankenkassen im Gegensatz dazu ein Interesse daran hätten, jedem Patienten die leichtmöglichste Diagnose unterzujubeln, der täuscht. Ganz im Gegenteil: Je kränker die Mitglieder einer Krankenkasse auf dem Papier sind, desto mehr Zuschüsse erhält diese aus dem Gesundheitsfonds, in den alle Versicherten einzahlen.
Schlimmer kann es nicht kommen? Oh doch: Heile und herrsche!
Noch immer glauben die meisten Bürgerinnen und Bürger, sie entrichteten ihre Beiträge direkt an ihre Krankenkasse. Das ist ein Irrtum. Seit dem Jahr 2009 werden die Beiträge zentralisiert eingenommen und über diesen Gesundheitsfonds an die Krankenkassen verteilt. Dabei gilt: Je kränker die Beitragszahler, desto mehr Geld für die Kasse. Strohschneider beschreibt mit der Sachkenntnis des Insiders, wie der komplette Krankenhausbetrieb privatisiert und letztlich ökonomisiert wurde: Die Ethik ist der „Monetik“ gewichen.
Von Anfang bis Ende setzt dieses System falsche Anreize, es ist insofern mehr ein Krankheits- als ein Gesundheitswesen.
Strohschneiders Arztkollege Bernd Hontschik hat fast zeitgleich ein ähnliches Buch geschrieben, „Heile und herrsche! Eine gesundheitspolitische Tragödie“ heißt es. Anders als sein Kollege geht er weniger minutiös ins Detail, er stellt philosophische Fragen, spannt den großen Bogen und fragt sich: Wohin führt diese Form ökonomisierter Gesundheitspolitik eigentlich? Und hat die Pandemie nicht vielleicht bei etwas Vorschub geleistet, was uns als neue Gesellschaftsform droht?
Vom Gesundheitswesen spricht Hontschik schon nicht mehr, für ihn ist der Begriff der Gesundheitswirtschaft richtiger. Aber was sich langfristig zu etablieren scheint, so warnt er, das ist eine Gesundheitsherrschaft: Medizin wird als Herrschaftsinstrument missbraucht; der Arzt wird gewissermaßen zum Systemwahrer, verliert die ohnehin schon strapazierte Rolle als Ratgeber, den man im besten aller Fälle offen und ehrlich sein Leid klagen kann. Die Digitalisierung dieser Gesundheitswirtschaft, so wie sie angegangen wird, manifestiert sich als neue Herrschaftsstruktur, der zeitgenössische Kranke gelangt wieder dorthin, wo seine kranken Vorfahren einst zur Schau gestellt wurden: am Pranger.
Die Schuld als Bestandteil der Medizin ist spätestens seit den Auswüchsen der Pandemie wieder ins Bewusstsein gerückt. Hontschik wundert sich über einen großen Teil der Ärzteschaft, der das so unwidersprochen, ja teils sogar begeistert mitgetragen hat. Sein Ausblick auf die neue Medizin ist dabei wenig hoffnungsvoll, einer Trennung von Körper und Seele wird Vorschub geleistet. Dabei stellt er die Frage des Menschenbildes, der zentralen Frage der medizinischen Versorgung — die aber kaum noch gestellt wird. Es sei nach seiner Interpretation „genau das, was der Medizin abhandenkommt und bald ganz fehlen wird“.
Auswege? Welche Auswege?
Stattdessen feilschen „Tausende von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenhäuser (und) Tausende von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenkassen um jeden Euro“. Welches Menschenbild liegt so einem Geschacher zugrunde? Wie kommt man aus dieser betriebswirtschaftlichen Einbahnstraße raus, die so viele Ressourcen frisst, um Ressourcen zu sparen? Gut, man kann ein fundiertes Buch über diese Missstände schreiben, Aufklärung tut da sicher not. Der erste Schritt zur Veränderung ist das Begreifen, das Verständnis.
Strohschneider und Hontschik umreißen auch kurz, was sich zu verändern hat. Ohne ihre fundierte Darlegung schmälern zu wollen, so richtig scheinen die beiden Ärzte auch nicht an eine Veränderung zu glauben. Sie wirken ein bisschen verstockt, wenn es an die Chancen einer besseren, patientenorientierten Gesundheitsversorgung geht. Aber wer könnte ihnen das auch verübeln? Der Gesundheitsmarkt ist unter Kontrolle mächtiger Konzerne und ihrer Einflussagenten, sie haben die eigentlichen Entscheider in der Tasche: Wer sich aus diesen Kreisen einen großen Umbruch erwartet, dem möchte man einfach bloß zu seinem Optimismus gratulieren.
Auch durch informative Literatur aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger sind ja nun bedingt Antrieb einer Veränderung. Krankenhäuser boykottiert man nicht so einfach wie Amazon, Thalia oder das ZDF. Letzteres kann man zwar abschalten und dann auch nie mehr einschalten, es finanziert sich dennoch vom Nichtzuseher. Aber wenn es einen so schwer erwischt und man ins Krankenhaus muss, ist es mit der Haltung vorbei, dann zählt nur, dass einem Hilfe widerfährt, auch wenn man die Praktiken der Gesundheitswirtschaft verabscheut. Für eine kritische Haltung braucht man Schmerzfreiheit und Wohlbefinden.
Vermutlich ahnen die beiden Ärzte also, dass das Gesundheitswesen der Zukunft fast nur auf Hoffnungen baut, dass irgendwann ein Umdenken geschieht. Gegen die Lobby aus Investoren, Konzernen und willfähriger Politik ist kaum anzukommen, der Markt ist entfesselt — ihn wieder einzufangen, dazu braucht es ein mächtiges Szenario. Einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens etwa? Der fatalistische Beobachter von heute kann sich eine Veränderung zugunsten der Menschlichkeit nur noch mit einem vorherigen Kollaps vorstellen; die Macht der Reform, sie hat schon seit Langem keine Lobby mehr. Was für ein krankes System.
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Last Updated on 22. Mai 2022 by redaktion
Pathologischer Profit
Im Gesundheitswesen sind so viele skandalöse Fehlanreize gesetzt, dass von einer Medizin für die Menschen kaum mehr zu sprechen ist.
Foto: Alexa Mat/Shutterstock.com
Bleiben Sie gesund! Nein, dieser Satz ist nicht als „Corona-Gruß“ gedacht, er ist ein Ratschlag: Denn krank zu sein, können Sie sich nicht leisten — nicht jetzt und noch weniger in Zukunft. Dass die Versorgung im Krankenhaus sich am Profit orientiert und nicht am Patientenwohl, ist schon lange kein Geheimnis mehr. Als sei dies nicht bereits schlimm genug, verwandelt sich diese „Gesundheitswirtschaft“ — wie in Pandemiezeiten immer deutlicher wurde — zudem immer mehr in eine „Gesundheitsherrschaft“. Was tun? Krankenhäuser boykottiert man nicht so einfach wie Amazon. Eine Veränderung zugunsten der Menschlichkeit lässt sich kaum noch ohne einen vorherigen Kollaps vorstellen.
Bis neulich habe ich noch im Gesundheitswesen gearbeitet. Etwas mehr als sechs Jahre war ich in einer Krankenhausverwaltung tätig, zuletzt direkt in der Patientenaufnahme. Als Quereinsteiger staunte ich nicht schlecht, wie miserabel ausgestattet der Betrieb zuweilen war. Klar, auch bevor ich dort tätig wurde, wusste ich ob dieser Umstände. Wenn man sie dann aber am eigenen Leib erfährt, ist es schon noch mal was anderes. Aus Gründen habe ich dann den Absprung geschafft.
Schon alleine aufgrund meiner Berufserfahrung neige ich dazu, nach Büchern Ausschau zu halten, die sich mit den Verwerfungen des Gesundheitswesens befassen. Dabei fiel mir auf, dass es nicht viele gibt, die sich wirklich kritisch mit den Nickligkeiten des Systems auseinandersetzen. In den Medien reduziert sich die Kritik am Gesundheitswesen — wenn es denn überhaupt eine gibt — an der schlechten Bezahlung von Pflegekräften. Dabei sind im Systemischen so viel skandalöse Fehlanreize gesetzt, dass von einer Medizin für die Menschen nur noch schwerlich gesprochen werden kann. Gerade jetzt, da die Politik dazu neigt, das deutsche Gesundheitswesen als funktionstüchtig zu loben, weil es während der Pandemie nicht völlig in sich zusammenbrach, ist es wichtig, die systemische Frage aufzuwerfen.
Krankenhaus im Ausverkauf
Thomas Strohschneider ist Gefäßchirurg — und neuerdings auch Autor: „Krankenhaus im Ausverkauf. Private Gewinne auf Kosten unserer Gesundheit“ nennt sich sein aktuelles Buch. Zudem ist er auch noch Betriebswirt. Das klingt, als sei Strohschneider ein Tausendsassa, aber diese letztgenannte Position besetzt er nicht offiziell, ja noch nicht mal gerne: Betriebswirt ist er bloß notgedrungen. Denn wer heute als Arzt im Krankenhaus anheuert, muss auf viele verschiedene Umstände achten. Jedoch auf das, was die Patientinnen und Patienten wirklich brauchen, zuweilen nur nebenbei. Das etablierte Abrechnungssystem fordert seinen Tribut, das Patientenwohl ist keine Variable, mit der sich was verdienen lässt.
„Ärztemanager“ nennt Strohschneider selbst jene Rolle, die Ärzte, speziell aber Chefärzte einnehmen. Regelmäßig bestellt sie die Geschäftsleitung zum Rapport, dort müssen sie erklären, warum bestimmte Patienten immer noch nicht entlassen seien, schließlich sei die Grenzverweildauer überschritten, was so viel heißt wie: Mit hartnäckigen Patienten lässt sich nichts verdienen, das Entlassmanagement möge doch bitte tätig werden — und abschieben. Gerügt wird auch, wenn zu viele Operationen gemacht werden, die wenig Geld einbringen.
Sachkundig erklärt der Autor, weshalb es keine vollumfängliche Therapie für Patienten im Krankenhaus gibt: Man splittet ihn nämlich in Diagnosen auf, bestellt lieber öfter ein, damit mit jedem neuerlichen Aufenthalt auch neuerlich verdient werden kann. Das System verleitet zu solchen Anreizen, weil die DRG (Diagnosis Related Groups, im Volksmund auch Fallpauschale genannt) eine andere Abrechnung nicht zulassen. Die Versorgung ist erlös-, aber nicht patientenrelevant angelegt, Begleiterkrankungen werden zuweilen ignoriert, weil deren Behandlung keine zusätzliche Bezahlung seitens der Krankenkassen einbringt.
Krankenhäuser haben ein reges Interesse daran, aus jeden Patienten die bestmögliche Diagnose herauszuholen, wobei „bestmöglich“ meint: die schwerstmögliche Diagnose. So steigert man den Case Mix Index (CMI), der über die Höhe der Bezahlung entscheidet. Wer nun glaubt, dass die Krankenkassen im Gegensatz dazu ein Interesse daran hätten, jedem Patienten die leichtmöglichste Diagnose unterzujubeln, der täuscht. Ganz im Gegenteil: Je kränker die Mitglieder einer Krankenkasse auf dem Papier sind, desto mehr Zuschüsse erhält diese aus dem Gesundheitsfonds, in den alle Versicherten einzahlen.
Schlimmer kann es nicht kommen? Oh doch: Heile und herrsche!
Noch immer glauben die meisten Bürgerinnen und Bürger, sie entrichteten ihre Beiträge direkt an ihre Krankenkasse. Das ist ein Irrtum. Seit dem Jahr 2009 werden die Beiträge zentralisiert eingenommen und über diesen Gesundheitsfonds an die Krankenkassen verteilt. Dabei gilt: Je kränker die Beitragszahler, desto mehr Geld für die Kasse. Strohschneider beschreibt mit der Sachkenntnis des Insiders, wie der komplette Krankenhausbetrieb privatisiert und letztlich ökonomisiert wurde: Die Ethik ist der „Monetik“ gewichen.
Strohschneiders Arztkollege Bernd Hontschik hat fast zeitgleich ein ähnliches Buch geschrieben, „Heile und herrsche! Eine gesundheitspolitische Tragödie“ heißt es. Anders als sein Kollege geht er weniger minutiös ins Detail, er stellt philosophische Fragen, spannt den großen Bogen und fragt sich: Wohin führt diese Form ökonomisierter Gesundheitspolitik eigentlich? Und hat die Pandemie nicht vielleicht bei etwas Vorschub geleistet, was uns als neue Gesellschaftsform droht?
Vom Gesundheitswesen spricht Hontschik schon nicht mehr, für ihn ist der Begriff der Gesundheitswirtschaft richtiger. Aber was sich langfristig zu etablieren scheint, so warnt er, das ist eine Gesundheitsherrschaft: Medizin wird als Herrschaftsinstrument missbraucht; der Arzt wird gewissermaßen zum Systemwahrer, verliert die ohnehin schon strapazierte Rolle als Ratgeber, den man im besten aller Fälle offen und ehrlich sein Leid klagen kann. Die Digitalisierung dieser Gesundheitswirtschaft, so wie sie angegangen wird, manifestiert sich als neue Herrschaftsstruktur, der zeitgenössische Kranke gelangt wieder dorthin, wo seine kranken Vorfahren einst zur Schau gestellt wurden: am Pranger.
Die Schuld als Bestandteil der Medizin ist spätestens seit den Auswüchsen der Pandemie wieder ins Bewusstsein gerückt. Hontschik wundert sich über einen großen Teil der Ärzteschaft, der das so unwidersprochen, ja teils sogar begeistert mitgetragen hat. Sein Ausblick auf die neue Medizin ist dabei wenig hoffnungsvoll, einer Trennung von Körper und Seele wird Vorschub geleistet. Dabei stellt er die Frage des Menschenbildes, der zentralen Frage der medizinischen Versorgung — die aber kaum noch gestellt wird. Es sei nach seiner Interpretation „genau das, was der Medizin abhandenkommt und bald ganz fehlen wird“.
Auswege? Welche Auswege?
Stattdessen feilschen „Tausende von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenhäuser (und) Tausende von Kodierfachkräften und Medizincontrollern der Krankenkassen um jeden Euro“. Welches Menschenbild liegt so einem Geschacher zugrunde? Wie kommt man aus dieser betriebswirtschaftlichen Einbahnstraße raus, die so viele Ressourcen frisst, um Ressourcen zu sparen? Gut, man kann ein fundiertes Buch über diese Missstände schreiben, Aufklärung tut da sicher not. Der erste Schritt zur Veränderung ist das Begreifen, das Verständnis.
Strohschneider und Hontschik umreißen auch kurz, was sich zu verändern hat. Ohne ihre fundierte Darlegung schmälern zu wollen, so richtig scheinen die beiden Ärzte auch nicht an eine Veränderung zu glauben. Sie wirken ein bisschen verstockt, wenn es an die Chancen einer besseren, patientenorientierten Gesundheitsversorgung geht. Aber wer könnte ihnen das auch verübeln? Der Gesundheitsmarkt ist unter Kontrolle mächtiger Konzerne und ihrer Einflussagenten, sie haben die eigentlichen Entscheider in der Tasche: Wer sich aus diesen Kreisen einen großen Umbruch erwartet, dem möchte man einfach bloß zu seinem Optimismus gratulieren.
Auch durch informative Literatur aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger sind ja nun bedingt Antrieb einer Veränderung. Krankenhäuser boykottiert man nicht so einfach wie Amazon, Thalia oder das ZDF. Letzteres kann man zwar abschalten und dann auch nie mehr einschalten, es finanziert sich dennoch vom Nichtzuseher. Aber wenn es einen so schwer erwischt und man ins Krankenhaus muss, ist es mit der Haltung vorbei, dann zählt nur, dass einem Hilfe widerfährt, auch wenn man die Praktiken der Gesundheitswirtschaft verabscheut. Für eine kritische Haltung braucht man Schmerzfreiheit und Wohlbefinden.
Vermutlich ahnen die beiden Ärzte also, dass das Gesundheitswesen der Zukunft fast nur auf Hoffnungen baut, dass irgendwann ein Umdenken geschieht. Gegen die Lobby aus Investoren, Konzernen und willfähriger Politik ist kaum anzukommen, der Markt ist entfesselt — ihn wieder einzufangen, dazu braucht es ein mächtiges Szenario. Einen Zusammenbruch des Gesundheitswesens etwa? Der fatalistische Beobachter von heute kann sich eine Veränderung zugunsten der Menschlichkeit nur noch mit einem vorherigen Kollaps vorstellen; die Macht der Reform, sie hat schon seit Langem keine Lobby mehr. Was für ein krankes System.
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